Dienstag, 17. Januar 2012

LEIPZIG UND SEINE SCHROTTIMMOBILIEN

„So eine schöne Stadt, so viele schöne Häuser!“ So oder ähnlich äußern sich Besucher, wenn sie zum ersten Mal nach Leipzig kommen. Sie sind beeindruckt von den zahllosen frisch renovierten und sanierten Gründerzeithäusern, von Straßenzügen, deren Fassaden dank erneuertem Fassadenschmuck und sauber geätzten Klinkersteinen eine heile Welt zeigen, die man in vielen anderen deutschen Großstädten so nicht findet. Aber wie kam es, dass eine graue, ostdeutsche Großstadt, die einst für ihren braunen Schnee und die vom Hausschwamm zerfressenen Altbauten bekannt war, sich zu solcher Schönheit emporheben konnte? Und woher kam das viele, viele Geld, das notwendig war, um die vielen tausend maroden Gebäude wieder denkmalgerecht aufzumöbeln?

Als Leipzig Boomtown war
Die ersten sanierten Häuser nach der Wende wirkten wie Fremdkörper, mit ihren reinweißen Kunstoffenstern und den Glasfasertapeten in den Büros der ersten Versicherungsvertreter aus dem Westen, die hierher kamen. Ihnen folgten andere, die das Potential der Stadt und ihrer schönen Häuser erkannten. Einer von ihnen war Jürgen Schneider – die schillernde Figur der damals „Boomtown“ genannten Stadt. Er kaufte Immobilien häuserblockweise und ließ sie aufwendig sanieren. Bei den Banken gab er viel höhere Quadratmeterzahlen für die Gebäude an. Damit dieses System funktionieren konnte, nahm er immer wieder neue Kredite auf bis schließlich der Kollaps kam. Durch Liquiditätsschwierigkeiten wurden die Gläubiger misstrauisch und der Betrug flog auf. 1994 platzte die Blase. Den Schaden hatten damals vor allem die Banken, die nun die prachtvollen, überschuldeten Denkmäler und Top-Immobilien verwerten mussten. Eine weltweite Finanzkrise gab es damals nicht und ein paar Milliarden Euro waren Peanuts. Im Verlauf der Krise gingen viele Handwerksfirmen und andere kleine Unternehmen pleite, weil ihre Rechnungen nicht bezahlt wurden, andere kamen in Schwierigkeiten, da die neuen Eigentümer der Schneider-Immobilien auch langfristige Mietverträge kündigten. Auch wenn dies selten offen ausgesprochen wird – im Endergebnis hatte Jürgen Schneiders Betrug durchaus positive Auswirkungen auf die Messestadt. Viele Immobilien wurden durch ihn gerettet und so aufwendig und originalgetreu saniert, wie es sich für einen „ehrlichen“ Investor nie gerechnet hätte. Das Geld dafür kam von den Banken, die Schneider finanziert hatten und diese Kredite nun abschreiben mussten.

Leipzig, die schrumpfende Stadt
Als das neue Jahrtausend begann, war der Nachwende-Boom längst vorbei, und was blieb, war eine Stadt, die sich mit ähnlichen Problemen wie der Rest der blühenden Landschaften zu beschäftigen hatte. Nicht umsonst war die Stadtregion Leipzig/Halle einer der Untersuchungsschwerpunkte in dem von der Kulturstiftung des Bundes finanzierten Projekt „Schrumpfende Städte“, das Schrumpfungsprozesse in Städten und Regionen weltweit untersuchte. Die Immobilien-Euphorie wich einer Immobilien-Depression, die dazu führte, dass mit Hilfe von staatlichen Fördermitteln hunderte denkmalgeschützter Gebäude abgerissen wurden. Darunter auch die eine oder andere Invest-Ruine, die noch wenige Jahre zuvor, beim ersten Immobilienboom, als aussichtsreiche Geldanlage auf dem Markt war. Der Preisverfall ging so weit, dass einzelne Eigentümer ihre Häuser im Leipziger Osten verschenken wollten.

Leipzig – der Shooting-Star unter Deutschlands Großstädten
Durch die groß angelegte Beräumung des Marktes gingen die Leerstandsquoten zwar zurück, aber Leipzig war immer noch eine Stadt, in der man sich auch für wenig Geld eine große Wohnung leisten konnte. Die „Leipziger Freiheit“ war nicht nur eine Stadtmarketing-Phrase, sondern in einem gewissen Sinn Realität – und einer der Gründe für die Anziehungskraft, die Leipzig auf  junge Menschen ausübte. Leipzig begann zu wachsen, und der vorher scheinbar ins Bodenlose fallende Immobilienmarkt stabilisierte sich. Porsche und BMW kamen, und immer mehr Studenten. Bauträger, Projektentwickler und Investoren fassten wieder Vertrauen. Sie kauften leer  stehende Industriedenkmale und Gründerzeithäuser zu günstigen Preisen, um sie zu sanieren und in Eigentumswohnungen aufzuteilen, auch wenn man die in Leipzig, wo es ja genug Wohnungen gab, schlecht verkaufen konnte. Dafür gab es eine andere Lösung: Die so genannte Denkmal-AfA. Wer ein denkmalgeschütztes Gebäude kauft und instand setzt, kann die Kosten für die Instandsetzung von der Einkommensteuer abschreiben. Und überall in Deutschland gibt es Leute, die gerne Steuern sparen wollen. Drückerkolonnen, so genannte Strukturvertriebe, aber auch Vermögens- und Steuerberater verkauften die Eigentumswohnungen in Wiesbaden, Frankfurt oder Rostock an Klein- und Großanleger. Denen wurde erzählt, wie toll Leipzig ist, wieviel Steuern sie sparen können, und dass man solche Wohnungen natürlich ohne Probleme teuer vermieten könne. Die Wohnung bezahlt sich sozusagen selbst. Dass diese Rechnung dann nicht aufgeht, wenn sich beispielsweise kein Mieter finden lässt, der die überteuerte Miete für die billig sanierte Wohnung zahlen will, bemerkten die Käufer zu spät. Für diese Art von Immobilien hat sich in den Medien inzwischen der Begriff „Schrottimmobilie“ etabliert. Die Internetforen sind voll mit Berichten von Opfern, es gab Fernsehsendungen und Zeitungsberichte. Die Berliner Anwaltskanzlei Resch Rechtsanwälte, die sich auf die Interessenvertretung von Kleinanlegern spezialisiert hat, spricht auf ihrer Internetseite von einem „Preiskartell Leipziger Bauträger“. Auch die „Schutzgemeinschaft für geschädigte Kapitalanleger e.V.“ SGK informiert auf ihrer Website über den so genannten Leipziger Bauträgersondermarkt. Demnach werden 90% der verkauften Eigentumswohnungen für um bis zu 100% überhöhte Preise durch Vertriebe an kleine Kapitalanleger verkauft. Sicherlich ist nicht jedes Haus, das in Leipzig saniert wird, eine Schrottimmobilie und nicht jeder Bauträger ein Immobilienbetrüger.
Doch überwiegend geht es bei Immobiliengeschäften in Leipzig nicht um nachhaltiges Investieren, sondern um fragwürdigen Profit auf Kosten anderer. Die Schneider-Immobilien wurden damals mit dem Geld der Banken und der nicht bezahlten Handwerker finanziert, die tausenden Schrottimmobilien mit dem Geld von Kleinanlegern, die über den Tisch gezogen wurden und nun für den Rest ihres Lebens dafür bezahlen müssen.

Welche Auswirkungen haben diese Geschäfte auf die Stadt?

Auch diese fragwürdigen Geschäfte hatten durchaus positive Auswirkungen. Es gab ein Überangebot an hochwertig sanierten Immobilien, und Mietinteressenten konnten sich die schönsten Wohnungen zu günstigen Preisen aussuchen. Die lokale Wirtschaft profitierte von den Aufträgen, und die Stadt konnte mit satten Wachstumszahlen protzen und mit seinen renovierten Fassaden glänzen. Doch diese Zeiten sind vorbei, Leipzig wächst weiter, und alle leer stehenden Fabriken und Gründerzeithäuser sind irgendwann saniert. Aufgrund der Finanzkrise sind Wertpapiere und andere Anlageformen für Anleger zu riskant und Immobilien werden als sichere Anlage gepriesen und in Massen gekauft. Um weiter teure Immobilien für Steuersparer anbieten zu können, müssen nun Häuser gekauft und saniert werden, die bewohnt und vermietet sind. Ob es für diese teuren Wohnungen Mieter gibt, die sich das leisten können, ist fraglich.
Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren – Leipzig ist Deutschlands Armutshauptstadt, jeder vierte Einwohner hier ist von Armut bedroht. Das ist das Ergebnis einer Vergleichsstudie des Statistischen Bundesamts, in der deutsche Großstädte untersucht wurden. Wenn sich fortsetzt, was jetzt begonnen wurde – die Vermarktung von günstigem, vermietetem Wohnraum als überteuerte Steuersparimmobilien – wird Leipzig schnell an Attraktivität verlieren. Die Sanierung und Vermarktung von denkmalgeschützten Immobilien geht an den Bedürfnissen des Marktes vorbei. Die Folgen dieses Geschäftsmodells, das mit Angebot und Nachfrage nichts zu tun hat:  Mieter verlieren ihre Wohnungen, einkommensschwache Schichten werden verdrängt – das Ende der sozialen Durchmischung, aus der Leipzig noch seinen Charme bezieht.

Leipzig wächst, aber nicht durch den Zuzug von Topverdienern, Reichen oder Wohlhabenden, die sich diese Wohnungen leisten könnten. Leipzig ist attraktiv für Studenten, für Leute, die am Anfang stehen, für Kreative und Künstler, weil sie hier günstige Bedingungen vorfinden. Wer diese Bedingungen zerstört, zerstört das Zukunftspotential von Leipzig. Über Jürgen Schneider kann man heute vielleicht schmunzeln, über die Folgen des derzeitigen Immobilienbooms nicht.

 B.T. / DBW

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